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INHALT – Nr. 42 – Oktober 2015 

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Das PapierTheater Nr.42                           SEITE 3                          Oktober 2015

Stichwort: Blättchen

von Uwe Warrach

 

„Erhaltung, Förderung und Wiederbelebung des Papiertheaters“
 
Das sind laut seiner Satzung Zwecke und Ziele des Vereins FORUM Papiertheater. Er verpflichtet sich, das Kulturgut Papiertheater „zu bewahren, es an nachfolgende Generationen weiterzugeben und die Kunst des spielerischen Könnens zu erarbeiten und weiterzuvermitteln.“ Dazu gehört ausdrücklich auch die Herausgabe einer Papiertheaterzeitung.
 
Das geschah zunächst, im September 1996, in Gestalt einer hektografierten Zeitung namens PapierTheater. Ab Dezember 2000 wurde mit der Nummer 17 daraus ein hochwertiges Magazin, herausgegeben von Norbert Neumann und Gaby John. Es umfasste 28 Seiten im Format DIN A 3 in Farbe und erfüllte bzw. übererfüllte den oben beschriebenen Auftrag. Es berichtete über Entwicklungen, Veranstaltungen, Spieler, Sammler und Kurioses.
 
In der Mitgliederversammlung 2004 kündigte Norbert Neumann an, seine Redaktionsarbeit nur noch für die Ausgaben in 2005 fortzuführen. Diese Absicht traf mit dem Umstand zusammen, dass das ‚Blättchen’, wie er die Zeitschrift bescheiden nannte, dem Verein zwar lieb, aber viel zu teuer war – nicht gemessen an der Qualität, sondern an Vereinsfinanzen und Umsatz. Ihm folgte ab 2007 die Zeitung Das PapierTheater, parallel im Netz und auf Papier.
 
Im März 2013 gab Norbert Neumann dem Redakteur Uwe Warrach ein Manuskript zu lesen, Titel: „Die Renaissance des Papiertheaters oder Ist das noch Papiertheater?“, gedacht als Beitrag für ein größeres geplantes Buch zum Thema. In weiser Voraussicht, falls es mit dem Buch nichts werden würde, vertraute er ihn vorsorglich unserer Zeitung an, sich wohl bewusst, dass der Umfang deren Rahmen eigentlich übersteigt.
 
Wir freuen uns diesen Text hier wiedergeben zu können.

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Das PapierTheater Nr.42                           SEITE 4                           Oktober 2015


Über die Renaissance des Papiertheaters

von Norbert Neumann

 


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Norbert Neumann im „Bühnenhaus“
mit freundlicher  Genehmigung des Verlages GEO-Magazin

 

1980 hatte Robert Poulter begonnen, sich mit dem Papiertheater zu beschäftigen; 1995 – und seitdem jedes Jahr mit einem neuen Stück – trat er in Preetz auf; und 1999 veranstaltete er in Seattle den ersten von sechs Workshops in den USA – von Kalifornien bis New York. Zu den papiertheatralischen Früchten dieser works komme ich später … Denn noch ein anderer „Titan“ betrat in diesem Jahr im wahrsten Sinne des Wortes die Preetzer Bühne: der französische Puppenspieler Alain Lecucq mit seinem „Théatre et Papier“.

 

Von den Engländern waren wir es bereits gewöhnt, das sie sich nicht in deutscher Tradition hinter einer Verkleidung verbergen, sondern sichtbar als Person hinter dem Papiertheater agieren. Wie Joe Gladwin, der auf wie hinter der Bühne von „Paperplays Puppet Theatre“ sein komödiantisches Temperament entfaltet.

 

Alain betrat als Schauspieler und Regisseur in einer Person die große Bühne und spielte auf und mit mehreren Papiertheatern und Versatzstücken, mit denen er die Handlung und ihre verschiedenen Schauplätze illustrierte. Er sprengte als Erster in Preetz den engen Rahmen der kleinen Bühne. Verblüffung, Begeisterung, Skepsis beim Publikum – „Ist das noch Papiertheater?“ (eine Frage, die in den folgenden Jahren noch öfter gestellt wurde). Diese Spielweise ist zugleich eine Befreiung, als auch eine Gefährdung der für das Papiertheater so wichtigen „Guckkasten-Magie“. Nur eine starke Bühnenpräsenz des Schauspielers kann diesen Verlust ausgleichen. Anders ausgedrückt: eine andere Form der Magie. Inzwischen verdanken wir Alain Lecucq, später gemeinsam mit seiner Frau Narguess Majd, viele durch seine Präsenz und Kreativität geprägte Inszenierungen und – eine Reihe von Festivals in der französischen Champagne. Durch ihre phantasievolle kreative Moderne haben diese Festivals dem Preetzer Treffen viel zurückgegeben. Der französische Schauspieler Eric Poirier machte den Tisch zu seiner Bühne. Auf dem Tisch agierte er temperamentvoll mit seinen Figuren, erschuf und vernichtete sie vor den Augen der Zuschauer mit dramatischen Gesten.

 

Ohne die Begegnung mit Robert Poulter wäre ich niemals wieder zum Papiertheater gekommen“, sagt der Maler und Grafiker Walter Koschwitz, der erstmals 2003 auf dem 16. Preetzer Treffen vertreten war. Auf seinem „Theater der urbanen Kriminalität“ setzt er sich, unterstützt von seiner Frau Megi, in Form eines Zyklus von Kriminalgeschichten mit der jüngeren Geschichte Berlins auseinander. Beginnend mit den 20er Jahren, aber zu- gleich „eine Aufarbeitung der eigenen Vergangenheit“. Seine expressiven Bilder sind faszinierend und oft von beklemmender Eindringlichkeit.

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ERIC POIRIER FAST TRADITIONELL MIT „DRACULA‘S DAUGHTER“, PREETZ 2004

 

Im Gegensatz zu seinem Anreger Poulter, der Technik so weit als möglich vermeidet (er kommt häufig mit drei bis fünf dimmbaren Glühbirnen und einem Tonträger aus), hat Koschwitz von Anfang an für seine Inszenierungen fast alle technischen Möglichkeiten benutzt. Eigene Zeichnungen, Fotos und anderes Bildmaterial werden am Computer bearbeitet, die Stimmen häufig verzerrt. Seine bisher weitestgehende und vermutlich erstmalige technische Neuerung erlebten die verblüfften Zuschauer 2012. Erst gegen Ende des Stückes „Kokain – Ein Dichterschicksal in Berlin“, manchem erst beim Blick hinter die Bühne, wurde ihnen klar, dass der Bühnenhintergrund ein – Flachbildschirm war.

 

Nach dem Vorbild des Poulterschen Rollhintergrundes hatte Koschwitz die Hintergründe mit Mitteln des Papiertheaters gestaltet, aber dann abgefilmt und als Film über den Bildschirm laufen lassen. Willers Amtrup, der das Papiertheater über Jahrzehnte und bis in seine letzten Lebenstage als einfühlsamer Kritiker und Chronist begleitet hat, schrieb einmal über Walter Koschwitz: „Walter zerstört das (Papier)Theater nicht, sondern fördert es in grandioser Weise, führt es ,zu neuen Ufern‘ … Für mich ist Walter Koschwitz einer der eigenständigsten, eigenwilligsten und kreativsten Papiertheaterspieler, die ich kenne, und in seiner Art sicherlich singulär!“

 

Er vergleicht ihn mit Poulter. So, wie wir dem der Klassik des englischen Papiertheaters verbundenen virtuosen Schau- und Papiertheaterspieler Peter Baldwin zu verdanken haben, dass Robert Poulter nach Preetz gekommen ist, so ist es wiederum dessen Verdienst, dass amerikanische Bühnen nach Preetz eingeladen worden sind. In Tampa in Florida hatte er die Puppenspieler Michael und Valerie Nelson davon überzeugt, dass Flachfiguren ihren eigenen Reiz haben. Wenn sie ihr „Little Blue Moon Theatre“ in Preetz aufbauen, darf man sich auf eine ebenso witzige wie erotische Aufführung freuen; oft begleitet von Valeries großartigem Liedgesang.

 

Der ebenfalls mehr das traditionelle Papiertheater pflegende amerikanische Brother Jon Bankert vermittelte 1999 den ersten Preetzer Auftritt der New Yorker Gruppe „Great Small Works“. John Bell, Trudi Cohen, Jenny Romain und Roberto Rossi „verstehen sich als Theaterkollektiv, das politisches, sozial engagiertes Theater macht. Papiertheater ist hierbei nur ein Medium. Inspiriert durch Walter Benjamin und die Kollagetechnik John Heartfields entwickelten sie während des Golfkrieges verschiedene Episoden eines ,Toy Theatre of Terror as Usual‘ (der übliche Terror übersetzt es der Autor), einer neuen Form politischen Papiertheaters“, so stellte sich die Gruppe im Programmzettel vor.

 

Wer nun erwartete, mit einer intellektuell verquasten Veranstaltung gelangweilt zu werden, wurde auf das Schönste enttäuscht. John Bell erzählte als Moritatensänger die Geschichte des Papiertheaters, Jenny Romaines Song widmete sich dem kriegsstiftenden Rohstoff Oil und auf der Bühne regnete es Dollarnoten und Spitzen gegen den US-Präsidenten – angrifflustiges politisches Kabarett vom Witzigsten.

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PHOENIX PAPAIEREN TEATER: „DAS GEHEIMNIS DES WEISSEN PFERDES“, PREETZ 2003

 

Das Papiertheater hat sich in weit gefasstem Sinne politischen Themen geöffnet. Zum Beispiel: „Great Small Works“ engagiert sich in „Three Books in the Garden“ für religiöse Toleranz. Die jungen Kanadier vom „Petit Theatre de L’Absolu“ stürzen in revolutionärer Begeisterung auf ihrer kleinen Bühne noch einmal die Vendôme-Säule. Alain Lecucq engagiert sich in Jerusalem und erarbeitet gemeinsam mit Israelis und Palästinensern Stücke für das Papiertheater. Machtelt van Nieuwkerk aus Südafrika spielte auf ihrem „Mavani Model Theatre“ afrikanische Volksmärchen und setzte damit ein Zeichen gegen Rassenhass und Fremdenfeindlichkeit.

 

In Preetz folgte 2004 Marlis Sennewald auf Dr. Jürgen Schiedeck, der sich als Leiter der VHS Preetz auch um das Papiertheater verdient gemacht hatte. Was in unserer Szene zunächst Besorgnis auslöste, erwies sich als großer Glücksfall. Marlis Sennewald entdeckte spontan ihre Neigung zum Papiertheater und öffnete sich besonders dessen neueren Formen. Eine ideale Ergänzung zu Dirk Reimers, dem Wahrer der Tradition. Das Preetzer Treffen war endgültig zur internationalen Drehscheibe des Papiertheaters geworden.

 

Beim 23. Treffen 2010 entfaltete erstmals das „Facto Teatro“ aus Mexiko mitreißend temperamentvoll die Mystik, Spielfreude und Musik seiner Heimat. Jubelnder Beifall, der die Gruppe bei ihrem zweiten Gastspiel im darauf folgenden Jahr bereits empfing.

 

Leuchtfeuer können in der Seefahrt Warnung und Wegweiser sein. Solch ein noch fernes Leuchtfeuer auf dem bewegten Meer des Papiertheaters kündigte Fred Ladoué, Frankreich, 2011 beim 24. Preetzer Treffen mit seiner „Compagnie Volpinex“ und seiner Dornröschen-Version an: Dornröschen nacherzählt mit Figuren aus Burda Moden 1979 (übrigens sind aus Modejournalen ausgeschnittene Figuren ein Rückgriff auf die Frühzeit des Papiertheaters). Auf dem Programmzettel heißt es: „Mit raffinierter Projektionstechnik werden Papiertheaterelemente zu einer höchst amüsanten Komödie zusammengefügt, rasant und komödiantisch gespielt von Fred Ladoué … Fotomontagen, Multimedia, live gesprochen.“

 

Ein Jahr später, beim 25. Treffen in Preetz ist das Leuchtfeuer der „Compagnie Volpinex“ – Warnung oder Hoffnungsschimmer für das Papiertheater? – unübersehbar. Fred Ladoué und die wunderbare Schauspielerin Marielle Gautheron spielen „L'étrange Cas – Der seltsame Fall“. Ein Stück in Anlehnung an die Erzählung von Robert L. Stevenson „Der Seltsame Fall des Dr. Jekyll und Mr. Hyde“.

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KEIN STOFF KANN GROSS GENUG SEIN FÜR RÖMERS PRIVATTHEATER: „JOSEPH UND SEINE BRÜDER“, PREETZ 2003

 

Iris Förster schreibt in ihrer Rezension in Das PapierTheater Nr. 29, November 2012 (www.papiertheater.eu) und Printausgabe Nr. 13, Dezember 2012: „Wie wirklich ist die Wirklichkeit? Da wird das Publikum vor dem Stück in zwei Gruppen aufgeteilt, die einen sitzen diesseits, die anderen jenseits einer großen Pappwand und erleben gleichzeitig zwei völlig unterschiedliche Aufführungen. Man ahnt ja, dass das alles irgendwie zusammenhängt, aber erst in der zweiten Hälfte des Stückes, sozusagen nach dem Seitenwechsel, erschließt sich die Idee. Auf der einen Seite wird die Geschichte der Verlobten von Dr. Jekyll gezeigt, die in der Psychiatrie gelandet ist und sich in Tagträumen verliert, auf der anderen Seite experimentiert ihr behandelnder Arzt mit Flüssigkeiten, Geräten und Texttafeln und erzeugt dabei Ton und Bild für alles, was sich hinter der Mauer abspielt. Das umgeklappte Regal wird zur Miniaturbühne, eingeblendete Texttafeln erläutern die Handlung. … Schon im letzten Jahr hat die Compagnie Volpinex das Papiertheater mit seinen technischen Möglichkeiten großzügig ausgereizt, dieses Jahr gehen sie noch weiter. Zu weit?“

 

Aus der Besprechung von Uwe Warrach in der gleichen Ausgabe möchte ich noch ergänzen: „Das ist faszinierend, originell und professionell gestaltet und gespielt … Eine packende Aufführung gleichwohl, der starke Beifall deshalb verdient, das Ganze durchaus angemessen für ,richtiges Theater‘ – aber das Papiertheater an sich muss schon geduldig sein …“

 

Ist das Spiel auf dem Papiertheater ein Anachronismus?" Diese provokant gemeinte Frage ergab sich aus einer privaten Diskussion zwischen Per Brink Abrahamsen und mir. Sie wurde dann zu einem Hauptthema des 5. Symposiums des Papiertheater-Vereins 1997 in Stuttgart (nachzulesen in PapierTheater Nr. 8). Per Brink Abrahamsen verdankten wir zunächst eine auch heute noch wichtige Klarstellung: „Der Bereich Papiertheater kann in zwei Teile unterteilt werden: den Papier-Aspekt des Papiertheaters und den Theater-Aspekt des Papiertheaters. Wir beschäftigen uns jetzt mit dem Letzteren. Papiertheater als Theater ist Teil des Mediums Theater, Gattung Puppenspiel. Man kann es auch mit einer Sammelbezeichnung Animationstheater nennen. Eine kurze Definition: Im Animationstheater (Puppentheater) gibt es eine vollständige Trennung zwischen Rolle und spielender Person … Wir betrachten Papiertheater schlicht und einfach als ein Theatermedium, mit dem man öffentliche Theatervorstellungen … gibt … Wenn auch öffentliche Papiertheatervorstellungen relativ neu sind, zeigt die mehr als zehnjährige Spielpraxis doch, dass das Papiertheater ein Theatermedium ist …“

 

Ich vertrat und vertrete auch heute noch die Meinung: „Man muß diskutieren: Warum muß ich auf dem Papiertheater spielen, wo sich jeder heute ’ne Videokamera leisten kann, seine eigenen Filme drehen und die wahnsinnigsten Tricks machen kann? …“ Per Brink Abrahamsen: „Das Argument dafür ist schlicht und einfach, dass Papiertheater, wie auch das Theater, live, lebendig ist. Es geschieht in diesem Moment … mit der Möglichkeit des Scheiterns oder des Erfolgs in jedem Moment …“ Christian Reuter, nachmaliger langjähriger Vorsitzender des Papiertheatervereins: „Auch Papiertheater ist eben Theater und es wurde immer versucht, sich damit der historischen Theatertechnik anzunähern. Nicht ohne Grund wurde alles, was das barocke Theater an Technik bietet, auch im Papiertheater mit den technischen Möglichkeiten der jeweiligen Zeit nachgebildet, sogar bis zur Automatisierung. … Also die Technik darf benutzt werden.“ Heinz Holland: „Weil vorhin die Frage kam: Was es denn ist, mit den technischen Mitteln. Was dürfte, was dürfte nicht! Es darf ja alles gemacht werden. Es muß nur die Magie … desjenigen, der Theater spielt, vorhanden sein.“

 

Diese Diskussion von 1997 scheint mir noch immer notwendig (siehe die Inszenierungen der Compagnie Volpinex), wenn auch die Entwicklung manche der Eingrenzungen und Befürchtungen überrollt hat. Ja, Extreme häufig einen ganz besonderen Reiz haben. 2007 erlebten wir in Preetz zum ersten Mal die Tschechin Hana Vorísková mit ihrer „Theater Musik Box“, eher Guckkasten als Bühne, vor der jeweils nur ein einziger Zuschauer Platz hatte. „Eine Reise“ hieß das Stück ohne Worte, halb Papiertheater, halb Schattentheater, begleitet von sanfter Musik. „Das war still, anrührend und überzeugend“ schrieb Willers Amtrup in seiner Besprechung.

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NIEMAND BESCHWÖRT DIE URBANE KRIMINALITÄT ÄSTHETISCHER ALS WALTER KOSCHWITZ: „DIE RÜCKKEHR DES DR. MACKUSE“, PREETZ 2003

 

Das andere Extrem: Das „WIENERpapierTHEATER“, Kamilla und Gert Strauss, Technik Manfred Heller, versprüht in seiner jüngsten Inszenierung „Die Fledermaus“ den ganzen mitreißenden Charme der Wiener Operettenseligkeit, – aber hinter der Bühne verbirgt sich miniaturisiert die nahezu komplette Technik einer großen Bühne. Ein „ewiges Thema“ ist auch auf dem Papiertheater die Weihnachtsgeschichte. Schon früh hatte Regine Mahlers „Berliner Papiertheater“ das Stück im Repertoire: in schönen einfachen, fast kindlichen Bildern. Hana Vorísková präsentierte die Geschichte 2008, um Willers Amtrup zu zitieren, „… geradezu weihevoll … Beim Licht einer Kerze las Vedralova (Hanas Partnerin d. A.) … zunächst jeweils die entsprechende Textpassage und reichte dann die Kerze betont gemessen an Vorísková weiter …“

 

Ganz anders Uwe Warrachs heutige Fassung für seine „Papieroper am Sachsenwald“, „Die Sache mit dem Stern“. Er erzählt die Geschichte heiter, satirisch aus der Sicht der drei Weisen, und doch so, dass auch schon Pastoren ihr Freude daran hatten. Beliebte und verbreitete Themenvorlagen sind auch Bilderbücher. Von Heike Ellermann, Oldenburg, bis Barbara Steinitz, Berlin, haben viele der Autoren/innen selbst ihre Bilder in Papiertheater-Figuren verwandelt.
Eine fröhliche Urständ erlebte Heinz und Gerlinde Hollands Papiertheater 2010 in Preetz. „Hellriegels Junior“ heißt das Theater, mit dem der damals achtjährige Willem Klemmer aus Kiel, einfühlsam begleitet von Großmutter Gerlinde Holland, in die Fußstapfen seines verstorbenen Großvaters Heinz trat. Das Bilderbuch „Ich bin der Stärkste im ganzen Land“ diente als Vorlage der selbstbewussten Inszenierung. Willem ist auch nicht das einzige lebende Argument gegen das Lamento über die Vergreisung der Papiertheater-Szene. Hier seien einige Bühnen genannt, deren Spieler mitten im Leben stehen und von denen wir noch einige Ideen für die Renaissance des Papiertheaters erwarten dürfen.

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EIN VATER-TOCHTER DEBÜT MIT BODES KOFFERTHEATER: „HÄNSEL UND GRETEL“, PREETZ 2004

 

Römers Privattheater“ aus Wildeshausen begann 1989 als deutsch-japanisches Familienvergnügen von Horst, Motoko und den beiden Töchtern Maria und Bärbel Römer. Texte der Weltliteratur von Homers „Odyssee“ bis Thomas Manns „Joseph und seine Brüder“ und Episoden aus fernöstlichen Epen wurden von Horst Römer in witzige und literarisch bemerkenswerte Kurzfassungen gebracht. „Haases Papiertheater“ aus Remscheid war 2008 zum ersten Mal in Preetz dabei mit Jules Vernes „Reise zum Mittelpunkt der Erde“. Mit Willers Amtrups Worten „… ein überaus gelungenes Debut!“ Das aber an Originalität noch überboten wurde von späteren Inszenierungen wie „Die Farben des Südens“, in der berühmte Bilder van Goghs auf der Bühne dreidimensional erscheinen, oder „Vom Zauber des Rheins“, in der im Rahmen einer Dampferfahrt alte Rheinsagen lebendig werden.
Bodes Koffertheater“ aus Bremen überraschte 2004 das Preetzer Publikum zum ersten Mal. Jens Schröder und Tochter Pauline haben einen alten Koffer mit einem Geheimnis geerbt. Sie legen den Koffer auf den Tisch, öffnen ihn und heraus entfaltet sich ein Papiertheater. Ihr Spielplan, live gesprochen, umfasst Märchen wie „Hänsel und Gretel“ bis zu Doyles Sherlock Holmes und zeichnet sich aus durch originelle Inszenierungsideen.

 

Die Einladungen zu Gastspielen nehmen zu. Neue Festivals etablieren sich. Wie das „Internationale Papierentheater-Festival“ auf dem Fischmarkt in Harderwijk, zu dem Harry und Tieneke Oudekerk in verschiedene Privathäuser des kleinen niederländischen Ortes einladen. Mit der Renaissance des Papiertheaters wurde es auch von Hochschulen, insbesondere Pädagogischen Fakultäten und Kunsthochschulen, entdeckt. Bereits beim 1. Preetzer Treffen wirkte der Pädagogik-Professor Krope von der Universität Kiel mit, der dort auch Seminare zu unserem Thema veranstaltete. Seit einigen Jahren ist die Kieler Muthesius Kunsthochschule jedes Jahr in Preetz vertreten. Unter der Leitung von Prof. Dr. Ludwig Fromm entwickeln Studentinnen und Studenten als Semesterprojekt jährlich mit viel Phantasie und frappierendem Einsatz moderner technischer Mittel eigene Stücke.

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VON ANFANG AN DABEI: PETER SCHAUERTE-LÜKE HIER MIT „DIE LIEBE ZU DEN DREI ORANGEN“ UND MITSPIELERIN SABINE HERDER, PREETZ 2007

 

In Koblenz erarbeitete Prof. Dietrich Grünewald mit Studenten der Fachrichtung Kunstwissenschaft und Kunstdidaktik 1997 die m. E. didaktisch beste Papiertheater-Ausstellung. Im gleichen Jahr schrieb Prof. Dr. Jens Thiele von der Uni Oldenburg in den BDK-Mitteilungen 2/97: „Die Atemlosigkeit der dahineilenden Bilder läßt … die Bilder selbst zerfallen. … Wer sich auf Bilder bewußt einlassen will, muß sie sich zurückerobern, der muß im Strom der Bilder einen Anker werfen, um Bilder wieder sichtbar zu machen …“ Ein solcher Anker ist für Thiele das Papiertheater.
2000 stellten im Märkischen Museum Studentinnen des Studienganges Bühnen- und Kostümbild der Hochschule der Künste Berlin, Leitung Prof. Martin Rupprecht, auf sechs Modellbühnen ihre Papiertheater-Version des „Käthchen von Heilbronn“ aus. Bei der Eröffnung belebten Peter Schauerte-Lüke und Per Brink Abrahamsen jeweils mit ihrer Kleist-Version die Ausstellung.

 

In PapierTheater Nr. 22, August 2002, schrieb Christian Reuter: „Vier Examensarbeiten mit dem und über das Papiertheater (eine Seminararbeit und drei Arbeiten für die 2. Staatsprüfung, Lehramt, d. A.) sind in den letzten 12 Monaten entstanden … Gemeinsame Erfahrung und Ergebnis aller Arbeiten aber ist:
– die Anregung von Phantasie und Verständnis- bildung,
– die fruchtbare Gruppenbildung mit Einsatz und Anerkennung unterschiedlicher Begabungsschwerpunkte,
– die Aktivierung kreativer Kräfte und Tätigkeiten,
– die Freude an der Lernarbeit und hohes Lern- ergebnis,
– die Faszination der dreidimensionalen dramatischen Darstellung – aktiv und passiv, -
– Erfolgserlebnisse für alle.
Und die Hoffnung, dass so auch die Liebe zum großen Theater geweckt wird.“ Christian Reuter berichtete auch über die Arbeit mit behinderten Schülern der Berufspraxisstufe am Franz-Sales-Haus in Essen, die im Papiertheater Ausdruck und Freude finden.

 

Eine Studentin, die ebenfalls an einer Seminararbeit schrieb, fragte mich vor einigen Jahren, wie man das Papiertheater fördern könne. Meine Antwort: Papiertheater spielen.

Februar 2013, Norbert Neumann, © by author

 

 

 

 

 

 

 

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LINKS: ALAIN LECUCQ UND NARGUESS MAJD AUF DEM FESTIVAL IN CHARLEVILLE-MÉZIÈRES, 2015 RECHTS: MUTHESIUS KUNSTHOCHSCHULE – PROF. LUDWIG FROMM UND STUDENT/INNEN: „DER SPINNER“, 2012

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Das PapierTheater Nr.42                           SEITE 5                           Oktober 2015

 

Preetz 2015

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The reasons behind such a change in stage & figures was motivated by Joe’s continued commitment to working in schools, a privilege I believe for us to witness the premier of a new “hard working theatre” which shall be put to good use time and time again. Highlights of the play for me included one liners such as “born to be wild...” and “the princess is on a shopping trip”!
A favourite character was the spotty dog in a fez – guardian of the mobile (or ‘handy’) which I believe was a rather successful replacement for the classic ‘genie of the lamp’.
Multiple rapid changing colourful back drops complemented the ‘animated‘ style of the figures which help deliver a very successful modern storyline with, of course, a happy ending – hoorah!
Sarah Peasgood

Zusammenfassung
Eine Überraschung ist Joe Gladwins neue moderne Bühne, die mit gigantischen beweglichen Figuren von oben bespielt wurde. Eine Spiel- und Bühnenform, die seinem verstärkten Engagement für die Arbeit mit Schulklassen geschuldet ist. Dabei wurde das „Magische Feuerzeug“ in erfrischender Weise an das 21. Jahrhundert angepasst. Sarah Peasgood gefallen besonders Joe’s lebendiger Schauspielstil, diverse Wortspiele und der ‚Hüter des magischen Handies’, ein gefleckter Hund mit Fez. Dass das Stück außerdem gut endet – Super!


Papiertheater der urbanen Kriminalität, Faust in Westberlin
Walter Koschwitz und Megi Koschwitz-Herrmann, Berlin


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Beim nächsten Stück höre ich bereits die Frage: Ist das noch Papiertheater? Möglicherweise gehört die Antwort auf diese Frage in den Bereich der ungeklärten Themen. Als Dr. Mackuse Fan bereite ich mich auf eine vergnügliche halbe Stunde vor und werde nicht enttäuscht. Walter Koschwitz berlinert in allerbester Manier. Der Bühnenarbeiter Emil Engelhaft schlendert durch Ostberlin und lästert über alles, was er sieht. Als er einem Vopo, nach übertreten in den Westsektor, eine Banane hinhält, wie im Zoo einem Affen, ist das zynisch. Jedoch schreibe ich den Zynismus nicht Herrn Koschwitz, sondern Emil Engelhaft zu, der seinem Namen keineswegs Ehre macht. Es passt ins Stück und zu der Figur. Die folgenden Szenen sind prallgefüllt mit der Hektik auf der Bühne, mit Proben, Unfällen und den bestmöglichen Versuchen, Goethes Faust zu verunstalten und hypermodern auf die Westberliner Bühne zu bringen. Ein köstliches Vergnügen. Ich bewundere die Bühnenbilder und bin erstaunt, als sich diese als digitale Bilder entpuppen, die über einen Fernseher gezeigt werden. Die sehr gute Tonqualität könnte ein wenig leiser daher kommen.
Brigitte Lehnberg


Muthesius Kunsthochschule, HappyPaperPerformance
Studierende der Fachbereiche Raumstrategien und Illustration, Prof. Dr. Ludwig Fromm, Martin Witzel (Kieler Oper), Kiel


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Zunächst einmal: die Bühne! Natürlich, denn darum geht es ja alljährlich bei der Präsentation der Semesterarbeiten in den Fachbereichen Raumstrategien (nannte man früher: Bühnenbild) und Illustration. Die angehenden Profis können, im Gegensatz zu den meisten anderen Teilnehmern des Festivals auf professionelle Bühnen- und Projektionstechnik zurückgreifen, was sie naturgemäß etwas außerhalb des übrigen Festivalgeschehens ansiedelt. Dennoch ist ein Besuch ihrer Vorstellungen immer für Überraschungen gut. In diesem Fall eine fünf Meter lange, weiße Wand mit einer unregelmäßigen Aussparung im rechten Drittel und, wie sich später zeigen soll, zwei weiteren ausklappbaren Kleinbühnen.
In diesem Szenario begegnet eine ziemlich ramponierte, blasse Papiertheaterfigur einem perfekten kleinen Cartoon-Piraten. Es geht um Papier, seine Herkunft und sein Potential, Träume zum Leben zu erwecken ...
Sabine Herder


Papiertheater Pollidor,                        
Sie kamen niemals an

Barbara und Dirk Reimers, Preetz


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Barbara und Dirk Reimers gewannen den „Bremer Stadtmusikanten“ einen Aspekt ab, den man als jüngerer Leser gerne übersieht: Die vier Tiere sind nicht nur Außenseiter, die eine neue Perspektive suchen, sie sind in Würde ergraut und wurden vom Hof gejagt, als ihre Aufgaben begannen, sie an die Grenzen ihrer körperlichen Fähigkeiten zu bringen.
Als der „Verein der Vertriebenen“, kurze Zeit später mit Hahn und Katze vom „Dütt“ zum Quartett angewachsen, zu seinem ersten Konzert anhebt, wandelt sich die Szene: In der bayerischen Staatskanzlei entbrennt zwischen Charts und Börsenbarometer ein Streit über den Windstrom von der deutschen Küste; neben der Bühne schon nach einigen Sätzen ein veritabler Ehekrach zwischen den Darstellern. Ein falsches Szenenbild hat sich dazwischengemogelt! Die Zuschauer sind konsterniert. Erst als der Streit kein Ende nehmen will, wird den meisten klar: Alles nur gespielt!
Herrlich, den beiden zuzusehen und zu -hören! Feinsinnige Wortspiele, politischer Hintersinn, originelle Szeneneinfälle und nicht zuletzt die stimmlichen Qualitäten überzeugen, wobei Dirk Reimers sich nicht scheut zu chargieren und Barbara Reimers mit einer – von mir – bisher noch nicht gehörten zarten, melodischen Singstimme überzeugt.
Sabine Herder


Théatre Mont d’Hiver,                
Cinema Nostalgia

Birthe und Sascha Thiel, Saarbrücken


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Ein Varieté der Zwanziger Jahre in der Krise. Da taucht jemand auf, den man heute als ‚Investor’ bezeichnen würde, ein reicher Amerikaner, der die spontane Idee hat, aus dem wunderschönen Etablissement ein Filmtheater zu machen. Die alternde, unter Depressionen leidende Besitzerin lehnt entrüstet ab. Der Amerikaner lässt seinen charmanten Optimismus spielen und nach einigem Hin und Her willigt Madame ein. Das Haus eröffnet neu als Kino und zeigt einen Film, in dem die ehemalige Diva eine Wiederauferstehung als Filmstar feiern kann. Eine leise, rührende Geschichte, die das Ableben alter, das Aufkommen neuer Künste und das Weiterleben der alten erzählt. Die beiden Thiels liefern eine Aufführung, an der alles stimmt. Die Kulissen teils mimetisch, teils stilisiert, klar in Aufbau und der farblichen Gestaltung, die Figuren markant, die Handlung live und professionell gesprochen, die Musik stimmungsvoll und gezielt eingesetzt, die Wechsel fließend, ohne Hektik, die beiden Spieler in perfekter Harmonie. Bravo, bravissimo! Freuen wir uns auf weitere Stücke!
Horst Römer


Conejo de Papel, No Sea at no time
Mauricio Martinez und Ana Paula Rosales, Mexico


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Ihr kleiner Sohn kontrolliert die Eintrittskarten, und ein kleiner Junge ist es auch, der nachts in seinen Gedanken und Träumen über die Weltkarte reist, die zwischen seinem Zimmer und dem seiner noch kleineren Schwester hängt. Sie schreit eines Nachts auf, er sieht sie irgendwo verloren gehen und reist ihr nach, um sie in die Geborgenheit ihres Zuhauses zurück zu bringen. Das erscheint simpel, wenn man es so erzählt, aber die Aufführung lebt weniger von dem Plot als von der lyrischen Gestaltung, den Stimmen, der Musik und den zarten, liebevoll gestalteten Requisiten, die das Paar bewegt (alles ohne herkömmliche Bühne).
Mauricio Martinez (bekannt vom Teatro Facto) und Ana Paula Rosales vermitteln ein Lebensgefühl, das vielleicht dem Wünschen näher ist als die Wirklichkeit, aber uns den Blick freigibt auf eine Welt, die wir uns gerade heute wünschen: wo Menschen einander Liebe geben und – das sagte es mir – den Planeten trotz unserer Anwesenheit aufatmen lassen. (Am selben Tag hörte ich, dass Mexiko sich eines Rückganges der Mordrate um 27 % erfreut – bei 20.000 Fällen im Jahr!)
Uwe Warrach


Römers Privattheater,
Das Hokusai Museum

Motoko und Horst Römer, Wildeshausen


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Inspiriert von den „Nachts-im Museum“-Teeniefilmen erzählen Horst und Motoko Römer die Geschichte der Geschwister Yuki und Taro, die sich auf dem Museumsfest verbasteln und Meister Hokusai persönlich begegnen. Ihrem anfänglichen Zweifel, die Bilder betreten zu können, begegnet der prominente Führer, indem er die zunächst flachen Bilder zu dreidimensionalen Welten auffaltet.

Hokusais wunderschöne Bilder, eine perfekte, ausgefeilte Technik, gewiefte Tricks und raffinierte Schiebemechanismen machten das Stück zum Augenschmaus.
Auf dem Tonträger waren in den Rollen der Kinder auch Bärbel und Maria Römer mit dabei. Die im Hintergrund laufenden japanischen Kinderchöre verliehen dem „Hokusai Museum“ eine stimmige Atmosphäre. Große Klasse!
Sabine Herder


Hellriegels Junior, Die 12 Monate
Gerlinde Holland und Willem Klemmer, Kiel


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„Die 12 Monate“ erzählt eine Variation des Stiefkindermotivs: Die benachteiligte Tochter aus erster Ehe wird von ihrer Stiefmutter mitten im Winter losgeschickt, um frische Früchte für ihre verwöhnte Schwester zu besorgen. In einem bösen Schneesturm stößt sie auf die Geister der 12 Monate, die der bescheidenen jungen Frau helfen. Statt wie erwartet in der unwirtlichen Natur zugrunde zu gehen, kann sie so die unmöglichen Wünsche erfüllen. Gierig auf weitere Wunder machen sich Mutter und Schwester auf den Weg zu den Geistern. Doch sie fordern und raffen, wo Bitten und Maß halten angemessen gewesen wären und gehen schließlich, mit schweren Säcken bepackt, im Schneesturm unter. Die ältere Schwester erbt Haus und Hof und ihrem Glück steht nichts mehr im Wege.
Gerlinde Hollands schöner Erzählstil und Willems keck gesprochene Dialogszenen ergänzten sich hervorragend, auch wenn Willems Einwürfe zuweilen etwas schnoddrig daher kamen. Zwar ist auch hier inzwischen eine farbige Lichtregie eingezogen, aber die Tricks sind noch im besten Sinne handgemacht und von großem Zauber.
Sabine Herder


Don Giovanni, Käthchen & Co.,
King Arthur
Peter Schauerte-Lüke und Ulrike Jöris-Pitschmann und Massimo, Köln


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Große Bühne, wie immer, die Kulissen traditionell, dabei frage ich mich: Wie hat er sie so groß hingekriegt? Jedenfalls ist das für das Publikum schon einmal komfortabel. Und beeindruckend sowieso.

Der legendäre Britenkönig Arthur, auch als Artus bekannt, tritt vergrätzt auf, denn man hat ihm soeben seine Verlobte geraubt, die blinde Emmeline, das heißt: nicht ‚man’, sondern der Sachsen-Anführer Oswald, der sie so liebt, dass er ohne sie nicht meint leben zu können. Besonders nett ist er trotzdem nicht zu ihr. Man ahnt schon, dass es grobschlächtig bis rumpelhaft zugeht auf der großen Bühne und in den tiefen Wäldern, das hört man auch an dem altenglischen Idiom, in dem sich die Gestalten manchmal unterhalten. Aber sie singen auch, und spätestens hier müssen die spielerischen und sängerischen Leistungen von Peter Schauerte-Lüke und (man darf wohl sagen) vor allem seiner Partnerin Ulrike Jöris-Pitschmann ausgezeichnet werden. Sie erhöhen das Zünftig-Derbe zum Lyrischen, und am Schluss durften wir sogar ein englisches fröhliches Lied mitsingen. Ach so, ja, und in der Sache wird alles gut. Sehr viel verdienter Beifall.

Uwe Warrach

 

Little Blue Moon Theatre, Canterbury: The Miller’s Tale

Valerie und Michael Nelson, USA

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Vor einer sehr großen Bühnenwand erscheinen Valerie und Michael Nelson in spätmittelalterlichen Kostümen. Nach einer kurzen Einführung in die Geschichte der „Canterbury Tales“ von Geoffrey Chaucer eröffnen sie ihre Vorstellung mit einem Lied. Dann erscheint in der rechten oberen Bühnenöffnung der titelgebende, schon recht angetrunkene Müller in Form einer knollennasigen Handpuppe und beginnt zu erzählen: Die junge Allison sucht sich aus drei heiratswilligen Männern den ältesten Mann mit Geld aus. Doch die beiden anderen geben nicht auf und werben weiter um die Schöne. Sie ist nicht abgeneigt und kann sich nach einer List dem Liebesspiel mit Nicolas hingeben.
Absalom, der zweite abgewiesene Bewerber, erwischt die beiden inflagranti. Es entfaltet sich ein burleskes Spiel um Küsse, die auf dem falschen Körperteil landen und um Rachegelüste , die einen tiefen Griff in die Kiste mit Spezialeffekten erlauben. Am Ende entsteht ein Tumult auf der Bühne, der ahnen lässt, was Valerie und Michael hinter der Bühne stimmlich bei diesem live gesprochenen Stück leisten müssen.
Dass hier der Applaus kein Ende nehmen will, überrascht nicht wirklich. Nelsons haben wieder einmal alle Register des Papiertheaters gezogen und zusätzlich Puppenspiel und eigene Schauspielleistung vor der großen Bühnenwand geschickt mit Handlung und Spiel verwoben. Im wahrsten Sinne des Wortes „Ganz Großes Theater“!

Olaf Christensen

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