Zeitungskopf

Editorial

Liebe Leserinnen und Leser,

wieder einmal hat nicht der Sammler, sondern der Jäger Christian Reuter zugeschlagen. Seine Beute: ein unbekannter Verleger mit zwei bisher in der Papiertheatergeschichte noch nicht aufgetauchten Stücken – weiter auf Seite 2!

Auch und gerade weil jetzt nicht so recht die Zeit für Papiertheaterabende sein mag – wer im Herbst und Winter spielen will, bastelt und übt beizeiten.
Dafür wirft Uwe Warrach wieder einmal selbstlos eine seiner Perlen vor uns Leser: ein vollständiges Papieropernlibretto für die Aufführung im heimischen Theater.

Viel Lust und Erkenntnis bei der Lektüre!

(rs)

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

INHALT – Nr. 11 – Mai 2009 

Christian Reuter entdeckt den Münchner Lithographen Thomas Driendl Seite 2

Uwe Warrach schickt Mozart mit Casanova auf die Papieropernbühne. Seite 3

alle Ausgaben

Driendl Figur

Barbarino – Figur aus Driendl-Bogen Nr.131

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Das PapierTheater Nr.11                                 SEITE 2                              Mai 2009

Geschichte des Papiertheaters

Eine unbekannte Firma
mit Figurenbogen?

Christian Reuter über den Münchner Lithographen Thomas Driendl 

 

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Thomas Driendl – Figurenbogen Nr.129 – „CostÜme aus den Hugenotten.“

 

Das abenteuerliche Leben von Stradella, dem italienischen Violinisten, Sänger und Komponisten aus der Mitte des 17. Jahrhunderts, regte Flotow zur Komposition der am 30. Dezember 1844 im Stadttheater Hamburg uraufgeführten dreiaktigen romantischen Oper an. Nach der literarischen Vorlage von Pittaud de Forges und P. Dupont schrieb Friedrich Wilhelm Riese unter dem Namen Wilhelm Friedrich das Libretto.

Die Bogen müssen aus der Zeit kurz nach den Uraufführungen stammen. Die relativ niedrigen Bogennummern lassen als Herstellungszeit die Jahre vor oder um 1850 vermuten.

Der Titelfehler und der schlichte Zeichnungsstil der Figuren haben nicht die Qualität der von Driendl oft nach Vorbildern gestalteten Heiligenbilder. Die Perspektive der Beinhaltung verschiedener Figuren ist auffällig ungekonnt. Obwohl mit großer Wahrscheinlichkeit anzunehmen ist, dass Vorlagen für die Theaterfiguren benutzt wurden, konnte ich bisher noch keine finden.

Die „Hugenotten“ als Figurenbogen gibt es bei mehr als 10 Verlagen schon aus der Zeit um 1850 wie bei Renner und Scholz.

„Die Hugenotten“ auf dem Renner-Bogen Nr. 795 sind bei Garde (Theatergeschichte im Spiegel der Kindertheater; Kopenhagen 1971) offensichtlich nach den Kostümbildern der Académie Royale de Musiqu von 1836, und der Scholz-Bogen Nr. 81 nach Bildern der Opéra Comique von 1843 gezeichnet. Mit beiden haben Driendl’s Zeichnungen stilistisch nichts zu tun, wie Vergleiche mit Garde und zumindest mit den Rennerbogen in der Stadtbibliothek Nürnberg ergab. Die Reihenfolge der Figuren bei Driendl stimmt allerdings mit dem Bogen 3117 von Oehmigke und Riemschneider, Neuruppin, überein, jedoch nicht die Figurenhaltung.

„Des Teufels Antheil“ ist ebenfalls bei den frühen Ausgaben von Renner und Scholz zu finden, aber „Zopf und Schwert“ wie auch „Antonia Stradella“, wie gesagt, bisher ausschließlich bei Driendl.

Als Lithographie-Firma wird Driendl kurz mit Andachtsbildern von Wolfgang Brückner („Populäre Druckgraphik - Deutschland“, München 1969) aufgeführt. Sigrid Metken hat ausführlicher über deren Bilderbogen, besonders über die Heiligenbilder, gearbeitet („Thomas Driendl (1805-1859) – Lithograph und Verleger“ in Volkskunst, November 1990); und bei Edward Ryan (Papier Soldiers, London 1995) taucht sie mit zwei Soldatenbogen auf. Viel mehr ist über die Firma nicht zu erfahren und gar nichts über ihre Theaterbogen.

Vor einiger Zeit zeigte ein größeres antiquarisches Angebot im Internet mit Herrscher- und historischen Bogen, mit Genrebildern und Soldatenbogen einen Themenquerschnitt des Verlags. Die über 100 beschriebenen Bogen und Bilder scheinen jedoch eher auf die Charakteristik einer Sammlung hinzuweisen, als sämtliche Themenbereiche der Firma abzudecken. Es fehlen dem Konvolut jedenfalls das in graphischen Sammlungen bekanntere Gebiet der Heiligenbilder.

In der Papiertheaterliteratur ist die Firma bisher nirgends erwähnt.

Nach meinen Recherchen bei Graphiksammlungen, Theater- und Puppentheatermuseen und besonders Papiertheatersammlungen schien der Verlag mit unserem Thema nirgends bekann zu sein, auch nicht in München, wo ich es am ehesten erwartet hatte.

Nach zwei Jahren fand ich vor Kurzem endlich sehr erfreut in einer Sammlung die Kopie der unteren Hälfte eines Driendl- Bogens der Figuren zu Wilhelm Tell. Die undeutliche Bogennummer könnte 31 sein. Die Kopie ist möglicherweise aus der früheren Menschik-Sammlung gemacht worden. Da Gerd Menschik in München lebte, ist nicht ausgeschlossen, dass er diesen Verlag als Münchener Sammler für das Thema Papiertheater entdeckt hatte.

Über Informationen zu Driendls Arbeiten für das Papiertheater würde ich mich freuen. Vielleicht ist irgendwo doch mehr darüber bekannt, als ich herausgefunden habe.

eMail Reuter

Es gibt in unserem Sammelgebiet auch heute noch immer wieder etwas neues Altes zu finden und zu erkunden.

 

 

Bogennummern der Stücke verschiedener früher Verlage
  Verleger
Kühn
1825–1925
Scholz
1830–1920
G.N.Renner
1839–1866
F.G.Schulz
1830–1920
Driendl
1840–1855
Oehmigke & Riemschneider
1840–1910
Wenzel
1830–1920
Pellerin
ab 1840
Die Hugenotten 1915 49 oder 29 795 133 129 3117 433 1494
dito   69 807     7045    
Teufels Antheil   113 796   ?      
Zopf und Schwert         131      
Antonio
Stradella
        131      

 

 

 

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Thomas Driendl – Figurenbogen Nr.129 – „CostÜme aus den Hugenotten.“, Ausschnitt

 

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Thomas Driendl – Figurenbogen Nr.131
„Zopf und Schwert“ und „Antonio Stradella“ (unter dem Titel „Teufels Antheil“)

 

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Thomas Driendl – Figurenbogen Nr.31(?) – „Wilhelm Tell“ (Kopie aus einer Sammlung)

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Das PapierTheater Nr.11                                 SEITE 3                              Mai 2009

Papieroper

Der bestrafte Wüstling – Das Casanova-Komplott

Scheinoper unter freier Verwendung
der Oper „Don Giovanni“ von Wolfgang Amadeus Mozart
Libretto von Uwe Warrach 

 

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Mozarts frühe erotische Begegnung, lange vor der Reise nach Prag
(Gemälde von P. A. Baudouin, aus Eduard Fuchs, „Sittengeschichte“, München 1911)

 

GiacomoCasanova. Also, als ich zum Altstädter Markt hinauf stieg, vernahm ich eine Arie, so rein und vollkommen, als käme sie direkt vom Himmel. Gerade wollte ich mich dem Sänger nähern, als ich binnen Sekunden Zeuge einer wüsten Auseinandersetzung wurde.

Donna Anna: „Don Ottavio, son morta!“
(Das Beschriebene spielt sich gleichzeitig ab.)

Der Schrei einer Frau in Todesnot gellte über den Platz, und augenscheinlich dessen Urheberin flüchtete sich in die Arme meines Sängers, der darauf seinen Gesang abbrach,

Gesangsende

was dafür sprach, dass es sich trotz des hohen musikalischen Ranges nicht um eine Opernszene, sondern um grobe Realität handelte. Der jungen Dame auf dem Fuße folgte eine Gestalt in schwarzem Umhang, deren Gangart mir irgendwie bekannt vorkam. Diese versuchte nun, die Dame dem von ihr erwählten Kavalier zu entreißen, brüllte dazu etwas von „Kanaille“ und „Kündigung“, zog aber den Kürzeren, da plötzlich ein dritter Mann auftauchte, der erst ihn vermöbelte, dann den Sänger bedrohte, bis er mich erblickte und, etwas irritiert, den Schauplatz mir und dem Troubadour überließ.
Nachdem der seinen Anzug geordnet und mir versichert hatte, dass ihm nichts fehle außer einer gewissen Susanna, fragte ich ihn, weshalb er seine Stimme nächtens auf dem verlassenen Altstädter Markt verschwende, woher er diese phantastische Melodie kenne und wer er sei.

Antonio außer Atem:
Ich bin – nein, Herr, ich war bis eben Diener bei dem berühmtesten Operndichter der Welt. Vor einer Minute hat er mich rausgeschmissen!

Casanova:
Rausgeschmissen? Der berühmteste Operndichter der Welt? Und warum? Hast du ihn beklaut? Oder wolltest du seine Tochter vernaschen?

Antonio:
Aber nein, Herr! Er wollte meiner Susanna an die Wäsche, der alte Bock, meiner Susanna, dem liebreizendsten Mädchen der Welt. Und eine Stimme hat sie, Herr – wie die Callas!

Casanova:
Hm. Wenn ich richtig gezählt habe, waren es zwei alte Böcke?

Antonio:
Ja. Nein. Der zweite war ihr Vater, der Herr Requisiteur der Oper, ein gewisser Pawlitschek aus Budweis. Er hält den Operndichter für einen Ehrenmann und mich für Susannas Verführer.

Casanova anzüglich:
Und?

Antonio:
Und? Leider nein, Herr, kein Und.

Casanova:
Was? Ein junger, attraktiver Meistersinger wie du lässt sich von einem verstaubten Fundusverwalter und einem drittklassigen Stückeschreiber hindern, seine Susanna zu … (schnalzt)

Antonio:
Herr, Sie unterliegen einem großen Irrtum. Mein bisheriger Chef ist nicht drittklassig, es ist der berühmte Opernlibrettist Lorenzo da Ponte, und er schreibt gerade an der neuen Oper des Herrn Mozart! „Don Giovanni – der bestrafte Wüstling“.

Casanova:
Ach, du Elend! Lorenzo da Ponte …!? –
elektrisiert: MOZART?? Ist in Prag?! …

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Achtung! Bei öffentlichen Aufführungen Urheberrechte für die vorgeschlagene Musik, evtl. auch für Bühnenbilder und Figurinen beachten. Siehe dazu Das PapierTheater Nr. 3 / September 2007

 

Bild

Theaterzettel der Wiener Erstaufführung von „Don Giovanni“

 

Bild

Vorhang auf für „Der bestrafte Wüstling“!
(Ausschnitt aus einem Farbstich von Desrais aus Eduard Fuchs, „Sittengeschichte“, München 1911)

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