Zeitungskopf

Editorial

Liebe Leserinnen und Leser,

Start ins Neue Jahr – Christian Reuter lässt uns teilhaben an einer Ausstellung in Mainz.

Hier wird es papiertheaterwissenschaftlich: Die Forscher Uwe Warrach und Norbert Neumann bewegen sich auf den Spuren Thomas Manns in Lübeck .

Und noch wissenschaftlicher: Das PapierTheater veröffentlich hiermit Sabine Herders kompletten Märchen-Vortrag vom letzten Symposium in Hanau.

Letzter Beitrag der Nr. 10: Die wunderbare Papiertheatergeschichte der Pastoren-Familie Hoffmann.

(rs)

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

INHALT – Nr. 10 – Januar 2009 

Christian Reuter zieht in Mainz den Vorhang auf Seite 2

Uwe Warrach über das Papiertheater von Hanno Buddenbrook Seite 3

Sabine Herder: Märchen im deutschen Papiertheater Seite 4

Walther und Heinz Hoffman: Familiengeschichte mit PapiertheaterSeite 5

alle Ausgaben

 

Lithografiestein

Aschenputtel auf Lithographiestein

Blocker

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Das PapierTheater Nr.10                           SEITE 2                           Januar 2009

Weihnachtssonderausstellung

Leichtes Theater
in massiver Festung

„Vorhang auf!“ im Stadthistorischen Museum Mainz
Text und Fotos Christian Reuter 

 

Vorhang auf!

Ausstellungsplakat

 

 

Weihnachten verbrachte ich in Mainz, wenige hundert Meter von der Zitadelle am Rande der Altstadt entfernt.

Um 1050 war dort auf altem römischen Boden ein Benediktinerkloster entstanden. Das Ehrenmal für den Feldherrn Drusus und die Grabungsstätte am größten römische Bühnentheater nördlich der Alpen zeugen noch heute von alter Vergangenheit.

Ende des 17 Jahrhunderts wurde auf dem Jakobsberg die militärische Festungsanlage errichtet, die in einem der inzwischen restaurierten Gebäude das Stadthistorische Museum Mainz beherbergt.

 

Dort ist seit dem 30. November 2008 bis zum 25. Januar 2009 eine kleine Ausstellung aus der Sammlung Scholtz zu sehen, die ich am ersten Weihnachtsfeiertag besuchen konnte. Sie gibt mit einigen schönen Exponaten und mit Aufführungen Einblick in die Welt des Kinder- und Papiertheaters.

Das Museum ergänzt die Ausstellung mit einem Marionettentheater, das es aus der Familie des Mainzer Malers Hans Kohl (1897–1990) als Dauerleihgabe besitzt. Er hatte es wohl zusammen mit dem Münchener Marionettenschnitzer Oberholzer offensichtlich nach den aufwändigen Konstruktionsplänen von Max Eickemeyer für seine Kinder gebaut. Die Eickemeyer-Konstruktion ist nicht sehr häufig zu sehen, deshalb ist es für uns von besonderem Interesse. Die charakteristische Seitenkulissenhalterung zeigen einige Bilder, die in und durch die Ausstellung führen.

 

Vorhang auf!

Eingang in die Zitadelle

 

Vorhang auf!

Das Museum in der Zitadelle am Drusus-Ehrenmal

 

Vorhang auf!

Scholz-Theater Urania Nr. 8

 

Vorhang auf!

Jacobsen F-Theater

 

Vorhang auf!

Marionetten-Theater (Mainzer Dauerleihgabe)

 

Vorhang auf!

FrÜhes Scholz-Theater

 

Vorhang auf!

Die Marionetten-BÜhne

 

Vorhang auf!

Theaterfiguren

 

Vorhang auf!

Scholz-Figurenbogen und Marionetten

 

Vorhang auf!

Lithographiestein von Schreiber

 

Vorhang auf!

Figuren zu Aschenputtel

 

Vorhang auf!

Vorhang auf!

Konstruktion des Marionettentheaters nach der Eickemeier-Vorlage

 

Vorhang auf!

Der Blick auf Mainz mit seinem Dom beim Verlassen der Zitadelle

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Das PapierTheater Nr.10                           SEITE 3                           Januar 2009

Aus aktuellem Anlass

Hannos Papiertheater

Text und Fotos Uwe Warrach;
mit Norbert Neumanns Recherchen 

 

Buddenbrooks

Scholz-BÜhne: Forschung und Ergebnis

 

Norbert Neumann: Auf was fÜr einem Papiertheater spielte Thomas Manns Hanno Buddenbrook FIDELIO?
Probleme der Zuordnung im Spannungsfeld zwischen Thomas Manns Biographie, der fiktiven Biographie seiner Romangestalt Hanno Buddenbrook und der Faktenlage der Papiertheater-Forschung

 

Thomas Mann 1875–1955
BUDDENBROOKS erschien 1901, geschrieben von Mann zwischen 1897 und 1900, im Alter von 22 bis 25 Jahren

Die für die Verifizierung des Papiertheaters relevante fiktive BUDDENBROOK-Zeittafel:

Hannos Vater Thomas B. lebt 1826–1875, stirbt also mit 48.

Hanno, geb. im Frühling 1861. Das Papiertheater bekommt er offensichtlich zum letzten Weihnachtsfest, an dem die alte Konsulin B. noch lebt. Nach dem ersten Weihnachtsfest ohne die Konsulin wird „Zu Beginn des Jahres 72 … der Hausstand der verstorbenen Konsulin aufgelöst“. Gestorben ist sie im Herbst des Vorjahres, also 1871.

Hanno bekommt also sein Papiertheater Weihnachten 1870, im Alter von 9 Jahren. Der Wunsch nach diesem Papiertheater ist ausgelöst worden durch Hannos ersten Theaterbesuch im gleichen Jahr, es gab FIDELIO.

 

Der Roman bietet folgende Anhaltspunkte zur Identifizierung des Theaters und der Bühnendekoration:

„… ein muschelförmiger Souffleurkasten, hinter dem breit und majestätisch in Rot und Gold der Vorhang emporrollte. Auf der Bühne war die Dekoration des letzten Fidelio-Aktes aufgestellt. Die armen Gefangenen falteten die Hände. Don Pizarro, mit gewaltig gepufften Ärmeln, verharrte irgendwo in fürchterlicher Attitüde. Und von hinten nahte im Geschwindschritt und ganz in schwarzem Sammet der Minister, um alles zum besten zu kehren.“

Hanno Buddenbrook ist offensichtlich Thomas Manns Alter Ego. Der autobiographische Bezug zum Papiertheater wird weiter gestützt durch Thomas Manns Erzählung DER BAJAZZO, in der er seine Beschäftigung mit dem Papiertheater beschreibt und wiederum „das Loch, das ich in den Vorhang geschnitten hatte“ erwähnt. In den BUDDENBROOKS heißt es bereits:

„Wie wird der Vorhang aussehen? Man muß baldmöglichst ein kleines Loch hineinschneiden, denn auch im Vorhang des Stadttheaters war ein Guckloch …“

Nur wenn man die Übereinstimmungen zwischen Thomas Manns Biographie und der fiktiven Biographie seines Hanno Buddenbrook berücksichtigt, lassen sich zeitliche Widersprüche erklären.

Nach unserem bisherigen Forschungsstand gibt es zum FIDELIO nur einen Figurenbogen. Erschienen im Verlag Scholz, Mainz, als Nr. 282, ca. 1890, so Georg Garde (Seiten 115 und 331). Ein Bogen, den Garde als für die Theatergeschichte unbedeutend erklärt, da er ihm keinen Quellenwert als Abbild einer realen Aufführung zubilligt.

Wenn der Figurenbogen zu FIDELIO also ca. 1890 erschienen ist, kann Hanno ihn unmöglich zu Weihnachten 1870 bekommen haben. Wohl aber kann Thomas Mann, geb. 1875, damit gespielt haben. Im BAJAZZO heißt es: „Dieses Spiel blieb bis zu meinem dreizehnten oder vierzehnten Lebensjahr meine Lieblingsbeschäftigung.“

 

Der Scholzsche Figurenbogen ist ein Indiz dafür, dass Proszenium und Dekorationen aus dem gleichen Verlag kamen. Darauf deutet auch der von Hanno erwähnte Souffleurkasten hin. Zwar gibt es viele Papiertheater mit Souffleurkasten, dabei handelt es sich aber meistens um sogenannte Haustheater, von der Familie selbst oder von Tischlern gebaute Theater.

Uns sind nur zwei gedruckte Proszeniumsbogen mit Souffleurkasten bekannt. Einer davon ist das Scholzsche Proszenium Nr. 7.
Als dazu passend gibt der Scholz-Katalog u.a. Vorhang Nr. 4 und Innere Gardine Nr. 500 an. Der Vorhang ist in dem von Hanno geschilderten Rot und Gold gehalten. Auf dem Bogen der inneren Gardine sind auch etliche Miniatur-Theaterzettel abgedruckt, darunter FIDELIO.

Mit hoher Wahrscheinlichkeit hat Hanno Buddenbrook/Thomas Mann also mit den Scholz-Figuren auf dem Scholz-Theater mit dem Proszenium Nr. 7 und den Vorhängen/Gardinen Nr. 4 und 500 gespielt. Zumindest scheint mir diese These vertretbar.

 

Bleibt die Frage: In welchen Kulissen hat Hanno/Thomas gespielt?
In den BUDDENBROOKS ist die Rede von der Dekoration des letzten Fidelio-Aktes. In „Opera“, deutsch 1981 Wiesbaden, und „Oper Operette Konzert“, 1955 Gütersloh, wird die Werkgeschichte des FIDELIO dargestellt, der zahlreichen Veränderungen unterworfen war. Danach wäre für den letzten FIDELIO-Akt sowohl die Szene Kerker als auch die Szene Hof der Festung möglich.

Zur Klärung wäre es hilfreich festzustellen: Hat der junge Thomas Mann den FIDELIO tatsächlich noch im Lübecker Stadttheater gesehen oder in seinen ersten Münchner Jahren? Und: In welcher Fassung wurde der FIDELIO gegeben?

Scholz bietet als „kleine Dekorationen“ (passend zum Proszenium Nr. 7) Rittersaal K, k und Kerker L, l an. Als mittlere Dekorationen Park Nr. 2, 2a und Burghof Nr. 18, 18a. Dazu passen Proszenium Nr. 10, Vorhang Nr. 10, Gardine Nr. 10, die aber nicht den Beschreibungen des Papiertheaters in den BUDDENBROOKS entsprechen.

Die Figuren zu FIDELIO – ausgeschnitten, in Farbkopien – hat Christian Reuter, Essen, zur Verfügung gestellt. Der wohl sehr seltene Bogen ist unseres Wissens ausser in der Sammlung Reuter nur noch in der Röhler-Sammlung in Darmstadt und im Germanischen Museum in Nürnberg zu finden.

Proszenium Nr. 7, Vorhang Nr. 4 (auch als Reprint) und Gardine 500 (auch als Reprint) und die „kleinen Dekorationen“ Rittersaal K, k (auch als Reprint) und Kerker L,l sind in meiner Sammlung. Dito andere Scholz Proszenien, die dem Format der Nr. 10 entsprechen, Vorhang Nr. 10 und Park Nr. 2, 2a.

 

Buddenbrooks

Kunst und Gewerbe

 

Buddenbrooks

GeschÄft und Moral

 

Buddenbrooks

Fassade und Wirklichkeit I

 

Buddenbrooks

Fassade und Wirklichkeit II

 

Buddenbrooks

Licht und Schatten I

 

Buddenbrooks

Licht und Schatten II

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Das PapierTheater Nr.10                           SEITE 4                           Januar 2009

Spurensuche

Märchen im deutschen Papiertheater nach 1870

Vortrag von Sabine Herder
gehalten am 23. Mai 2008
auf dem 8. Papiertheater-Symposium
in Hanau 

 

Buddenbrooks

Tafel 2 – Scholz: Die 7 Raben

 

TatsÄchlich hatte die Märchenrezeption im Zeitalter der Industrialisierung zugenommen und war gezielt in den Dienst der zeitgenössischen Pädagogik gestellt worden. Als ideales Vermittlungsinstrument für bürgerliche Tugenden und nationales Selbstverständnis gleichermaßen wurden Märchen – z.T. in überarbeiteten Fassungen – in die Lehrpläne für den Deutschunterricht aufgenommen.

Für die Bilderbogenverleger bedeutete dieser neue Trend ein neues lukratives Geschäftsfeld, das bedient werden wollte. Schreiber, der als erster das Papiertheater ausdrücklich als Kinderspielzeug definierte, sicherte damit einer bereits im Aussterben begriffenen Kunstform für weitere Jahrzehnte das Überleben.

Sabine Herder

 

Buddenbrooks

Tafel 11 – Schreiber: Der Wolf und die 7 Geisslein

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Das PapierTheater Nr.10                           SEITE 5                           Januar 2009

Buddenbrooks
 
 
Hoffmanns Erzählungen –

für das Forum Papiertheater entdeckt und aufbereitet
von Klaus Beelte

 

 

 

 

Dr. Heinz Hoffmann
(1934–2008)
erinnert sich nicht nur an sein eigenes, vom Vater Gerhart übernommenes Theater, sondern übersandte uns einen Ausschnitt aus dem Familienbüchlein, in dem sein Onkel Walther über dessen Papiertheater schreibt.

 

 

 

 

 

 

Foto Christian Reuter

 

 

Familiengeschichte I

Das Theater

geschrieben und veröffentlicht von Walther Hoffmann (*1880),
dem Onkel von Heinz Hoffmann,
Sohn von Walthers Bruder Gerhart (*1892)

 

 

großen Gemeinde, das alles hat sich meinem kindlichen Gemüt unauslöschlich eingeprägt. Ich konnte im Übrigen dabei verstehen, dass dieser Großvater in jungen Jahren einmal so heftig auf eine Kanzelbrüstung geschlagen hatte, dass er vor der erstaunten Gemeinde in einer Staubwolke verschwand.

Am Tage zuvor aber, des Nachmittags, gaben meine Schwester und ich den Großeltern und den Eltern eine Festvorstellung auf unserem Theater. Schneewittchen und die sieben Zwerge gingen über die Bretter, die die Welt bedeuten. Der Großvater, in Würdigung der künstlerischen Leistung, zahlte eine Mark Eintrittsgeld. Und mit rührender Geduld verfolgte er das Spiel, als ob Lewinsky vom Wiener Burgtheater, den ich später als Franz Moor sah, die Hauptrolle spielte. Die größte Freude hatte er wohl daran, dass in der Schlussszene die sieben Zwerge sich in ihre sieben Drahte verwickelten und durcheinander stürzend die Bühne in ein Leichenfeld verwandelten.
Ich war außer mir. Ich schämte mich tief und gestand mir, dass das Eintrittsgeld nun doch zu hoch bezahlt sei. An eine Rückerstattung dachte ich freilich nicht.

Aber die Not macht erfinderisch. Wir beschlossen, die fatalen Drähte, die nach oben standen, seitlich in die Figurenklötzchen einzubohren. Auch sonst wurden wunderbare Erfindungen gemacht.
Eine Brücke wurde gebaut, von der „Elsa, die standhafte Magd“, in die Tiefe stürzte. Wolken, Waldesgrün oder Zimmerdecken verliehen als „Soffitten“ der Bühne oben einen Abschluß. Blitz und Donner standen uns zu Gebote. Bleistücke gaben den Figuren einen festen Stand.
Neue Kulissen erwiesen sich als außerordentlich billig, wenn man die Bogen kaufte und selber auf Pappe zog. Und die Höhe wurde erreicht, als auf unserer Bühne Robinson als Dieb das Hamburger Vaterhaus verließ, als Schiffbrüchiger im Meere schwamm (man sah seinen Kopf über einer Welle), im farbenprangenden Urwald sein Zelt aufschlug und über das Meer in die untergehende Sonne schaute.
Das sind die schönsten Spiele der Kindheit, die die kindliche Phantasie anregen. Auch das Deklamieren mit hoher und tiefer Stimme war eine ganz gute Übung. Und ein Märchenschimmer von damals begleitet mich bis heute.

Seitdem habe ich die Wonne dieses Theaters noch in drei Generationen miterlebt, obwohl ich noch nicht einmal ein Großvater bin. Zuerst waren es meine beiden um zehn und zwölf Jahre jüngeren Geschwister, dann meine beiden Neffen, endlich meine eigenen Kinder. Was seitdem an Licht- und Knalleffekten noch hinzugekommen ist, das würde den Rahmen dieser Erzählung sprengen. Heute liegen Dorf und Stadt, Wald und Urwald, Dornröschen und Wilhelm Tell, Blitz und Donner auf dem Boden und harren einer abermaligen fröhlichen Auferstehung.

Handschriftliche Anmerkung des Heinz Hoffmann:
„… doch leider sind sie mit dem gesamten Theater
beim Angriff auf Chemnitz im März 1945 verbrannt!“

 

Familiengeschichte II

Das Papiertheater
des Dr. Heinz Hoffmann

aufgeschrieben von ihm selbst

 

 

roten Himmel über Chemnitz, wo in einer Nacht alle Verwandten ausgebombt wurden, und dabei auch das Kindertheater aus Familienbesitz, das mein Onkel Walther Hoffmann in seinen Erinnerungen (siehe „Das Theater“) beschreibt, verbrannte – umso mehr Ansporn, den eigenen Besitz ständig mit neuen Stücken und Dekorationen zu vervollkommnen. Großzügigkeit und Weitblick veranlassten meinen Vater, alles aufzukaufen, was bei Schreiber In Esslingen noch zu haben war. Auch dort soll dann der Rest den Bomben zum Opfer gefallen sein – einige sind erst seit wenigen Jahren als Reprint erneut verfügbar.

Vieles an Belebung der papiernen Bögen spielte sich zur Weihnachtszeit unter abenteuerlichsten Bedingungen ab – wir lebten zeitweise zu sechst oder siebent in einem einzigen heizbaren Zimmer. Es gab aber auch Tage und Wochen, wo die Brennvorräte für das ganze Haus reichten (es sei denn, bei strenger Kälte fror das Wasser schon in den Heizkörpern, ehe überhaupt das Anheizen effektiv wurde). Da wurde dann umso emsiger aufgezogen, ausgeschnitten, ausgebrochen. Nach Vollendung der dritten Kulisse „Gitter“ im „Kerker“ hatte ich Blasen an den Händen.
Besonders heikle Gegenstände an den einzelnen Figuren mußten besonders sorgfältig behandelt oder gelegentlich mit Streichhölzern verstärkt werden, etwa die lange Nase der Jungfer Naseweis oder mancher Degen, manche Fahne oder der mehrarmige Leuchter, mit dem Franz Mohr vom 1. bis 5. Akt der „Räuber“ durch das Szenarium eilt . Daß der Krieg zu Ende war, ist auch daraus ersichtlich, daß die Umrisse des Geistes von Mazens Mutter im Freischütz sowie einige Knochen in der Wolfsschlucht aus phosphoreszierendem Material geschnitten wurden, wie es von den Umrandungen der Hausnummern aus der Luftschutzzeit übrig geblieben war.

„Gummi arabicum“ behielt für mich immer einen etwas mystischen Beiklang. Dieser wichtigste Papierkleber ging schließlich irgendwann nach 1945 zu Ende und wurde durch einen sirupähnlichen, aber deutlich weniger effektiven Klebstoff ersetzt.
Abenteuerlich war auch die Verfertigung diverser Effekte, sei es in der Elektrizität, da man aus stillen Reserven zehrte, oder zur Verfertigung von Blitzen aus Kolophoniumpulver und Donner aus einem ausgedienten Ofenblech. Äußerst stolz war ich auf eine Sturmmaschine. Eine nach einer Seite offene Papptrommel hatte als Boden ein Pergament, in dessen Mitte ein langes Roßhaar befestigt war. Das Ganze wurde dann in kreisende Bewegung um einen mit Kolophonium eingeriebenen Stab gewirbelt. Leider brach zuweilen der eindrucksvolle Sturm so plötzlich ab, wie es in der Natur nicht vorzukommen pflegt, weil sich die Papptrommel selbständig machte und irgendwo im Bühnenraum niederging.

Die Trennung zwischen Zuschauerraum und Bühnenbereich wurde streng eingehalten, was sich natürlich am günstigsten mit zwei Zimmern und einer Zwischentür bewerkstelligen ließ.
Allerdings wurde gelegentlich die Grenze zwischen Publikum und Mitwirkenden fließend. Allein die Wolfsschlucht erforderte vom Feuer unter dem Kessel bis zur wilden Jagd, Blitz und Donner und feuerspeiendem Drachen viel Fingerfertigkeit und Geistesgegenwart von der schauerlichen, durch eine Papptute dröhnende Frage Samiels „Was ist dein Begehr?“ ganz zu schweigen.
Im Nachherrein bewundere ich außerordentlich die Fähigkeit meines Vaters, trotz seiner Taubheit die Übersicht über das Geschehen zu behalten. Wegen der zum Teil verblüffenden Parallelen muß ich hier nachdrücklich auf Haidvogels Erinnerungen „Vater und die Wolfsschlucht“ verweisen.

Einmal geriet das Zahlenverhältnis zwischen Publikum und Akteuren hart an die Grenze des Mißverhältnisses (ich greife hier allerdings schon an den Anfang der 50ger Jahre vor). Im Zuschauerraum saß nur noch einer aus dem Freundeskreis – durchaus unmusikalisch und inzwischen ein angesehener Kinderarzt und Abgeordneter im sächsischen Mittweida – während alle anderen hinter der Bühne, teilweise mit den Resten des Stimmbruchs kämpfend, den Jägerchor aus dem Freischütz schmetterten.
Vieles wäre noch zu erwähnen: Meeresbrandung und Alpenglühen, die äußerst belebte Schlangengrotte in „der Reise um die Erde in 80 Tagen“, der Dukaten spendende Esel und der auf dem Rücken des Wirtes tanzende Knüppel aus dem Sack, das Klirren von Schneewittchens Sarg und die Mondstimmung beim feierlichen Schwur auf dem Rütli.

Heinz Hoffmann, inzwischen emeritierter Theater-Direktor, hat das Ganze mit Vergnügen an seine Kinder Koni und Gerhard, an Hans, an Sabine und Klaus weitergegeben. So möge es für die Enkel Friederike, Dora, Helene, Max, Pauline, Kilian und viele andere Heranwachsende eine Stätte der Kultur bleiben – allen mehr oder weniger guten Programmen und Angeboten eines multimedialen Zeitalters zum Trotz.

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